Demos von Linken und „Freien Sachsen“ in Leipzig: Linken-Politiker Pellmann will Straße nicht „den Nazis überlassen“

Der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann über die Kritik am geplanten Montagsprotest und den Umgang mit Sahra Wagenknecht

Mit einer Demonstration am Montag in Leipzig will die Linksfraktion im Bundestag einen „heißen Herbst gegen soziale Kälte“ einläuten. Anmelder Sören Pellmann erwartet 3000 Teilnehmer. Mit ihm sprach Tino Moritz.

Freie Presse: Herr Pellmann, selbst in Ihrer eigenen Partei war der Aufruf nicht unumstritten.Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel sprach von einer „Leuchtturm-One-Man-Show“.Haben Sie sich ausgesprochen?

Sören Pellmann: Wir waren ungefähr 20 Leute, die sich das überlegt haben, Genossen und Freunde aus Vereinen und Verbänden. Wir sind mit ihnen im regen Austausch. Hinter unseren Aktionen, Informationsständen, Podiumsdiskussionen und Kundgebungen im Herbst wird ein großes Bündnis stehen, davor ist der 5. September als erster Auftakt zu sehen. Aufgrund unterschiedlicher terminlicher Verpflichtungen ist es bislang noch nicht zu einem persönlichen Austausch mit Juliane gekommen.

Freie Presse: Es soll also nicht bei dieser einen Montagsdemonstration bleiben?

Sören Pellmann: Auf keinen Fall. Die Woche hat auch noch sechs andere Tage. An allen Tagen muss man gegen die unsoziale Politik der Ampel-Regierung Gesicht zeigen.

Freie Presse: War es ein Fehler, dass Ihre Wahl zumindest zum Auftakt auf einen Montag fiel, der bekanntlich gerade in Leipzig eine besondere Bedeutung hat?

Sören Pellmann: Die Reaktionen in mehreren 100 Mails und SMS hielten sich die Waage. Die Hälfte findet den Montag sehr gut. Es gab ja auch bereits Umfragen, in denen insbesondere im Osten die Mehrheit der Befragten linke Montagsdemonstrationen begrüßen. Wir wollen in erster Linie an die Tradition von 2004 anknüpfen, als es auch in Leipzig große Hartz-IV-Proteste gegeben hat, die allesamt montags stattfanden. Deswegen ist der Montag für den Start ein guter Tag.

Freie Presse: Weil bereits ein entsprechender Aufruf der „Freien Sachsen“ kursiert: Was machen Sie, wenn Ihre Demonstration von Rechtsextremen okkupiert wird?

Sören Pellmann: Zunächst einmal bin ich der Überzeugung, dass die Straße an keinem Wochentag den Nazis überlassen werden darf. In Leipzig ist die Linke die stärkste Kraft im Stadtrat. Die Bevölkerung ist mehrheitlich weltoffen eingestellt und gegenüber linken Gedanken aufgeschlossen. Wir haben uns immer klar von Rassisten und Faschisten abgegrenzt. Diese Leute sind auf unserer Kundgebung nicht erwünscht und würden ausgeschlossen.

Freie Presse: Es könnten ja auch Linke sein, die mit Putin- oder Russlandfahnen kommen. Davor warnte Ihr Parteifreund und Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow.

Sören Pellmann: Das Tragen solcher Flaggen wird auf der Demonstration unterbunden. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieser Montag ein bunter, lauter, friedlicher Auftakt für den notwendigen heißen Herbst werden wird.

Freie Presse: Sahra Wagenknecht wird nicht reden. Sie soll erst ein- und dann wieder ausgeladen worden sein. Was ist da dran?

Sören Pellmann: Anfangs hatte der Vorbereitungskreis RednerInnen gesucht. Neben Persönlichkeiten der Partei Die Linke sollen auch Einzelpersonen und SprecherInnen von Initiativen und Organisationen am 5. September auf der Bühne sprechen. Für die Linke konnte unter anderem Gregor Gysi als prominenter Redner gewonnen werden. Mit Verweis auf den Auftaktcharakter der Veranstaltung am 5. September und dem Bestreben, dass es weitere Veranstaltungen geben wird, wurde Sahra Wagenknecht gebeten, an einer anderen Veranstaltung des „heißen Herbstes“ teilzunehmen. Es bleibt festzustellen: Diskussionen und Interpretationen über Einladungen zum 5. September lenken von den eigentlichen Zielen der sozialen Proteste gegen die Energie- und Inflationskrise ab. Die Linke will dem „heißen Herbst“ mit der gesamten Partei, mit ihren Abgeordneten inklusive aller prominenten Persönlichkeiten einen sozialen Stempel aufdrücken.

Freie Presse: Ihr Nichterscheinen hat also nichts mit ihrer Forderung nach Öffnung von Nord Stream 2 und einem Ende der Sanktionen gegen Russland zu tun?

Sören Pellmann: Von der Parteizentrale im Karl-Liebknecht-Haus gab es keine Einflussnahme und auch keine Einmischung in die Rednerliste.

Freie Presse: Das Wagenknecht-Lager fühlt sich an den Rand gedrängt. Befürchten Sie, dass sie wie Oskar Lafontaine die Partei verlässt?

Sören Pellmann: Sahra Wagenknecht ist Mitglied der Partei und der Fraktion. Die Partei wäre gut beraten, inhaltliche Differenzen auszuhalten beziehungsweise eine inhaltliche Auseinandersetzung zu fördern. Ein Rausdrängen oder gar ein Austritt wäre der falsche Weg. Sollte es zu einer Abspaltung kommen, gewinnt niemand: weder die, die gehen, noch die, die bleiben.

Freie Presse: Im Aufruf zur Demonstration heißt es, dass Energie und Essen bezahlbar sein müssen. Was fordern Sie über gesetzlich gedeckelte Gas- und Strompreise hinaus?

Sören Pellmann: Die Gasumlage muss sofort zurückgenommen werden. Wir fordern zudem eine Übergewinnsteuer, wie es sie in anderen Ländern schon gibt.

Freie Presse: Leipziger Grüne scheinen zu Ihren schärfsten Kritikern zu gehören. Wie erklären Sie sich das?

Sören Pellmann: Die Grünen haben ein Deutungsproblem. Der im Wahlkampf versprochene Ausstieg aus der Kohle findet nun nicht statt. Sogar Atomkraftwerke sollen nun länger am Netz bleiben. Was mich aber noch viel mehr ärgert: Die Grünen waren einmal eine Friedenspartei – und stimmen jetzt frisch und fröhlich allen Kriegs- und Auslandseinsätzen zu. Es bereitete ihnen auch kein Problem, mal eben 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr zuzustimmen.

Freie Presse: Die Grünen haben aber auch schon vor Putin gewarnt, als sich die Linke genauso wie Teile von CDU und SPD noch für das Ende der damaligen Sanktionen und Nord Stream 2 starkmachten …

Sören Pellmann: Zentrales Thema war Russland für die Grünen damals nicht. Es stand nur in ihrem Wahlprogramm.

Freie Presse: Wie nehmen Sie die Forderung von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wahr, den Ukraine-Krieg „einfrieren“ zu wollen?

Sören Pellmann: Ich rechne ihm hoch an, dass er die Sorgen und Nöte auch von Bewohnerinnen und Bewohnern in Sachsen sehr ernst nimmt. Ich vermisse allerdings, dass er sich nicht deutlich von rechts abgrenzt. Das hat er früher besser gemacht. Er versucht offensichtlich, dort für seine Partei Wählerstimmen zu generieren.

Freie Presse: Aber Linke und AfD sind bei diesem Thema doch gleichermaßen inhaltlich nahe bei ihm. Wie soll er sich da von rechts abgrenzen?

Sören Pellmann: Ich mache das daran fest, dass er mit Querdenkern und Coronaleugnern redet, dazu aber mit antifaschistischen Demonstranten nicht bereit ist. Da habe ich ein Störgefühl.

Hintergrund: Rechtsextreme Freie Sachsen wollen mit Linken demonstrieren

Neben der Partei Die Linke will am Montagabend auch die rechtsextreme Splitterpartei Freie Sachsen in Leipzig gegen die Bundesregierung demonstrieren. Das bestätigte das Ordnungsamt der Stadt am Donnerstag auf Anfrage. Insgesamt seien für Montag bisher sieben Kundgebungen von rechts und links angemeldet. Die Polizei bereitet sich auf einen größeren Einsatz vor, wie ein Sprecher sagte. Der Linken-Politiker Sören Pellmann stellte Strafanzeige gegen die Freien Sachsen wegen deren Demoaufruf.

Pellmann, der Ostbeauftragte der Linksfraktion, hatte eine Kundgebung unter dem Slogan „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“ am Montagabend angekündigt. Offizieller Titel: „Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein!“ Dort sollen unter anderen Linken-Chef Martin Schirdewan und der frühere Fraktionschef Gregor Gysi auftreten. Erwartet werden 3000 bis 4000 Teilnehmer.

Am selben Ort, dem zentralen Augustusplatz, und zur gleichen Zeit ist die Veranstaltung „Freie Sachsen unterstützen den Montagsprotest von Sören Pellmann und der Linken – Gemeinsam gegen die da oben“ angemeldet. Auf sozialen Medien verbreiteten die Freien Sachsen eine Grafik, die suggerierte, dass rechte Aktivisten zusammen mit Pellmann und Gysi auftreten.

Dagegen wehren sich Pellmann und die Linke. Pellmann bestätigte der Deutschen Presse-Agentur einen Bericht von T-Online, wonach er Anzeige gegen die Freien Sachsen wegen der Erwähnung seines Namens erstattet habe. Auch Gysi habe eine Anwaltskanzlei beauftragt.

Pellmann sagte der dpa: „Die Panik muss groß sein bei den Rechten, wenn sie sich unter den Rock der Linken verkriechen wollen. Leipzig wird den Montag nicht den Rechten überlassen.“ Gegen hohe Energiepreise und „die gleichzeitige Arroganz der Ampel braucht es demokratischen Widerstand“. Gysi sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag): „Außerdem werde ich den Rechten schon etwas sagen, nämlich, dass unsere Gesellschaft das gesamte rechte Gesockse nicht dulden darf.“

Auch der Kreisverband der rechten AfD hat eine Aktion für Montag angemeldet, allerdings am Stadtrand. Daneben sind auch weitere linke Gruppierungen mit eigenen Demos am Start.

Die Leipziger Grünen kritisierten Pellmann, weil er den Begriff „Montagsdemo“ verwendet hatte – dieser hat symbolische Bedeutung aus der Zeit der friedlichen Revolution in der DDR 1989, die sich gegen die SED richtete und damit gegen eine Vorläuferpartei der Linken. Pellmann und die Linke seien geschichtsvergessen und nähmen in Kauf, „dass damit rechte Vereinnahmungen der Montagsdemonstrationen in der Mitte der Stadt salonfähig werden können“.